Ärztekammer Berlin lehnt Einführung von DRGs als Vergütungsinstrument in der jetzigen Form ab

Pressemitteilung

Delegiertenversammlung positioniert sich zur Krankenhausfinanzierung

Trotz der positiven Charakteristika von DRG*-Systemen sieht die Berliner Ärzteschaft der geplanten Einführung eines flächendeckenden DRG-Systems in deutschen Krankenhäusern mit großer Sorge entgegen.

Durch ein DRG-System entsteht ein Versorgungsrisiko für die Patienten. Ein solches prospektives Vergütungssystem verlagert das wirtschaftliche Risiko auf die Leistungserbringer. Damit hängt der wirtschaftliche Erfolg respektive das wirtschaftliche Überleben von dem Umfang ab, in dem Leistungen oder Kosten reduziert werden. Dies führt zur Risikoselektion, implizierter Rationierung und Qualitätsverlusten durch Unter- und Fehlversorgung („quicker and sicker“). Der einzelne Patient ist diesem Mechanismus hilflos ausgesetzt. Instrumente der Qualitätssicherung existieren oder funktionieren nicht.

Die Erwartungen von Politik und Krankenhäusern, durch die Einführung der DRGs Geld zu sparen, werden nicht erfüllt werden; sämtliche internationalen Erfahrungen sprechen dagegen. Im Gegenteil: die Kosten werden steigen.

Die Arbeit der Krankenhausärztinnen und –ärzte wird durch Bürokratie und Dokumentation geprägt sein. Schon heute nimmt die Dokumentation ärztlicher Leistungen mehr Zeit in Anspruch als die ärztliche Leistung selbst. Dies stellt eine Perversion ärztlicher Arbeit dar. Die Betreuung der Patienten leidet zwangsläufig. Die Humanität der Patientenversorgung wird weiter abnehmen.

Durch die zu erwartende Spezialisierung stationärer Leistungen wird die Möglichkeit zur ärztlichen Weiterbildung weiter eingeschränkt. Ein Facharztmangel wird die Folge sein. Die zu erwartenden Verschiebungen medizinischer Leistungen in den ambulanten und Reha-Bereich müssen kompensiert werden.

Das geplante DRG-System selbst ist ungenügend. Die gegenwärtigen Klassifikationssysteme sind mangelhaft und bilden die Realität schlecht, gar nicht oder uneinheitlich ab. Derzeit existieren z. B. drei verschiedene Versionen des Diagnoseschlüssels ICD 10.

Die Kalkulation der Ist-Kosten lässt den flächendeckenden Bruch des Arbeitszeitgesetzes und die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeit außer acht. Millionen unbezahlter ärztlicher Überstunden werden bei der Kalkulation nicht berücksichtigt. Dieser Rechtsbruch wird durch die Einführung des vorgesehenen DRG-Systems zementiert.

Die Vorkalkulation der DRGs ist weder geplant, noch veröffentlicht, noch in den vorgesehenen Fristen zu absolvieren. Noch verfügt keine deutsche Klinik auch nur über allgemeine Kodierregeln, Kalkulationshandbücher oder die Information, ob sie in die Kalkulation einbezogen wird. Dennoch sollen die Ergebnisse dieser Kalkulation in die Relativgewichte umgerechnet werden. Die Fristen zur Einführung des DRG-Systems sind zu kurz. Widerstände und grundlegende Fehler sind programmiert.

Das geplante DRG-System wird entweder eine Mengenbegrenzung brauchen oder ein reines Budgetverteilungsinstrument mit absehbar fallenden Punktwerten werden. Beide Verfahren haben keinen Bezug zur medizinischen Notwendigkeit. Die drastische Rationierung von Gesundheitsleistungen ist daher vorbestimmt. Die Einführung eines flächendeckenden DRG-Systems entspricht damit einem Experiment mit fragwürdigem Ausgang.

Die Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin erwartet mit der Einführung von DRGs eine deutliche Verschlechterung der Patientenversorgung durch einen Verlust an Qualität und Humanität. Eine Industrialisierung der Patientenversorgung in deutschen Krankenhäusern ist absehbar. Das Festhalten an dem derzeitigen Einführungsverfahren führt zum Abbau der stationären Versorgung in Deutschland ohne Rücksicht auf medizinische Kriterien, Qualität und Humanität der Patientenversorgung, volkswirtschaftliche Ergebnisse und verfassungsrechtliche Gebote. Im Ergebnis führt das vorgesehene Verfahren zu einem erschwerten Zugang für Patienten zu notwendiger Behandlung. Statt dessen führt es zu Anreizen für wohldotierte, aber fraglich indizierte Maßnahmen und damit zu schlechterer Medizin bei insgesamt höheren Kosten.

Die Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin lehnt daher die Einführung eines DRG-Systems in der vorgesehenen Form ab. Sie fordert den Gesetzgeber auf:

  • Ein Moratorium abzuhalten: Die Einführung der DRGs* sollte solange ausgesetzt werden, bis die Voraussetzungen erfüllt sind (Daten, Klassifikationen, Vergleich mit anderen Entgeltsystemen, Folgenabschätzung).
  • Die Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige und humane Patientenversorgung zu schaffen und den ärztlichen Dienst von berufsfremder Tätigkeit zu entlasten.
  • Bei der Kalkulation der Kosten sämtliche ärztliche Leistungen mitzuerfassen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeit zu berücksichtigen.
  • Ein differenziertes, international vergleichbares Klassifizierungssystem zu schaffen, das die Realität der Patientenversorgung abbildet.
  • Ein Verfahren zur Erkennung und Abwehr von Fehlsteuerungen durch DRGs einzuführen.
  • Eine wissenschaftliche Begleitforschung zu schaffen, welche die qualitativen, finanziellen und strukturellen Auswirkungen eines DRG-Systems analysiert.
  • Die Grundlagen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen herzustellen.

* DRG’s = Diagnosis related groups (Vergütung nach Diagnosen)

Die Pressemitteilung als PDF finden Sie hier.