Delegierte diskutieren intensiv über Facharzt für Notfallmedizin

DV-Bericht

Bericht von der Delegiertenversammlung am 28. August 2013

Trotz einer kompakten Tagesordnung gab es bei der ersten Delegiertenversammlung nach der Sommerpause viel Diskussionsbedarf. Neben der geplanten Novellierung der Muster-Weiterbildungsordnung sorgte insbesondere das Für und Wider eines eigenständigen Facharztes für Notfallmedizin für hohen Gesprächsbedarf. Dabei bot die Diskussion ein hohes inhaltliches Niveau und machte die verschiedenen Blickwinkel auf die Probleme in der Notfallmedizin deutlich.

Von Sascha Rudat

Bevor Vorstandsmitglied Werner Wyrwich den Sachstand der Novellierung der Muster-Weiterbildungsordnung (MWbO) vortrug, erklärte Kammerpräsident Günther Jonitz (beide Marburger Bund), dass die Bundesärztekammer zwei Tage zuvor mitgeteilt habe, den Landesärztekammern mehr Zeit einzuräumen. Aus diesem Grund seien die für November und Dezember 2013 geplanten Klausursitzungen von Ausschuss und Ständiger Konferenz "Ärztliche Weiterbildung" abgesagt worden.

Wyrwich stellte in seiner Präsentation zunächst die Grundlagen der geplanten Novellierung vor. Demnach soll eine neue Weiterbildungsordnung vor allem folgenden Problemen bei der Weiterbildung, die man erkannt hatte, entgegentreten:

  • Inhaltliche Überfrachtung
  • Überhöhte Richtzahlen
  • Mangelnde Kontinuität durch Arbeitszeitgesetze
  • Hohe Arbeitsbelastung durch Arbeitsverdichtung
  • Eingeschränktes Leistungsspektrum durch Spezialisierung

Die geplante Novellierung soll daher primär folgende Ziele verfolgen:

  • Strukturierung der Weiterbildung
    nach Kompetenzen

  • Definition vorrangig über Inhalte
    weniger über Zeiten

  • Berufs- und Sozialrecht in Einklang bringen

  • Stärkung der ambulanten Weiterbildung

  • Schaffung von berufsbegleitenden Weiterbildungsmöglichkeiten

Im Anschluss ging Wyrwich näher auf den der Novelle zugrunde liegenden Kompetenzbegriff bzw. die verschiedenen Kompetenzebenen ein. Abschließend erläuterte er den ursprünglichen Zeitplan, der immer schwerer zu halten sein wird. In der anschließenden Diskussion kritisierte Julian Veelken (Fraktion Gesundheit), dass viele Fachgesellschaften in ihren Stellungnahmen bei der Bundesärztekammer die gleichen Inhalte wie bisher in die vier neuen Kompetenzebenen hineingepresst hätten. Dies sei enttäuschend, dabei sei die Anästhesie eine zu lobende Ausnahme. Daneben bemängelte er die Richtzahlen, die eigentlich nichts über Kompetenzen des Weiterzubildenden aussagen würden. Die Praxis zeige aber, dass noch immer das Logbuch ausschlaggebend sei, um eine Prüfungszulassung zu erhalten. Zustimmung erhielt Veelken hinsichtlich der Richtlinien-Problematik von Klaus Thierse (Marburger Bund).
Matthias David (Marburger Bund) betonte, dass man wesentlich mehr Ausbilder brauche, um dem angestrebten Konzept gerecht werden zu können. Es sei kaum möglich, diese anspruchsvolle Weiterbildung in der Praxis durchzuführen: "Dazu wäre ein Train-the-Trainer-Programm notwendig."

Kammerpräsdient Jonitz schlug vor, die genannten Kritikpunkte in Form eines Antrages der Delegierten der Ärztekammer Berlin auf dem nächsten Deutschen Ärztetag einzubringen. Zudem sei notwendig, die Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern. Die Ausfinanzierung der Weiterbildung müsse per Gesetz in den Abrechnungssystemen der Patientenversorgung sichergestellt werden, forderte Jonitz.

Für und Wider einen neuen Facharzt

Im Anschluss stellte Werner Wyrwich den Delegierten die Tätigkeit des "Arbeitskreises interdisziplinäre Notaufnahmen und Notfallmedizin" vor. Wyrwich, der den Arbeitskreis seit seiner Gründung 2011 leitet, begrüßte dazu zwei weitere Mitglieder, Dr. Stefan Poloczek (Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr) und Prof. Dr. Rajan Somasundaram (Leiter der Rettungsstelle am UKBF), als Gäste und erläuterte die unterschiedlichen Sektoren der Notfallversorgung mit den verschiedenen Leistungserbringern. Danach schilderte Wyrwich den Auftrag des Kammervorstandes, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Ärztekammer Berlin die Qualifikation der in der Notfallversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte nachhaltig und dauerhaft verbessern kann. Dabei wurden drei Problemfelder identifiziert:

  • Mangelnde Fachkompetenz
  • Patientensicherheit und Haftungsrisiko
  • Fehlende berufliche Perspektiven für Ärztinnen und Ärzte i der Notfallmedizin

Aus Sicht des Arbeitskreises gibt es demnach drei Optionen, eine Situationsverbesserung zu erreichen:

  1. Standardisierter Kurs mit überwiegend organisatorischen Inhalten
  2. Zusatzweiterbildung, vergleichbar mit der "Speziellen Intensivmedizin"
  3. Eigener Facharzt "Notfallmedizin"

Bei der Bewertung der Optionen sei man zu dem Schluss gekommen, dass der Facharzt für Notfallmedizin die größte Anzahl von Positivkriterien in sich vereinigt. Der Arbeitskreis habe daraufhin im Frühjahr 2012 dem Gemeinsamen Weiterbildungsausschuss (GWbA) und dem Vorstand der Kammer die Ergebnisse vorgestellt. Der GWbA forderte darauf die Erarbeitung von Umsetzungsmodellen der vorgeschlagenen Facharztweiterbildung. Nachdem diese dem GWbA vorgestellt worden waren, forderte dieser, ein Weiterbildungs-Curriculum unter Einbeziehung von Vertretern der Fachgebiete aus den Weiterbildungsausschüssen und dem Krankenhausausschuss zu diskutieren.
Im Frühjahr 2013 trat der Arbeitskreis in den direkten Dialog mit den Ausschüssen, deren Positionen zur Einführung eines Facharztes für Notfallmedizin sehr unterschiedlich ausfielen.

Diese Heterogenität wurde auch in der anschließenden Diskussion unter den Delegierten deutlich. Hans-Peter Hoffert (Hausärzte) erklärte, er sehe beim Notfallgeschehen in Berlin eher ein Strukturproblem der ambulanten Versorgung, für das die KV Berlin zuständig sei. Aus seiner Sicht gibt es bereits einen Facharzt, der über das geforderte breite Spektrum an Kompetenzen verfüge: den Facharzt für Allgemeinmedizin. Die Fälle in den Rettungsstellen seien absolut identisch mit denen in den Hausarztpraxen. Die Berliner Rettungsstellen seien weniger Rettungsstellen, sondern vielmehr Ambulatorien. Er stellte fest, dass sich der Weiterbildungsausschuss II (Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin) mit Nachdruck gegen die Einführung eines Facharztes für Notfallmedizin ausgesprochen hat.

KV-Vorstand Burkhard Bratzke (Allianz) forderte eine stärkere Differenzierung der Notfälle. Für rund die Hälfte der Fälle sei der Facharzt für Notfallmedizin gedacht, den er allerdings skeptisch betrachte. Unterstützung bekam er von Eva Müller-Dannecker und Julian Veelken (beide Fraktion Gesundheit), die zu einer Zusatzweiterbildung tendierte. Zurückhaltung kam auch von Harald Mau (Allianz).

Im Anschluss erhielt Arbeitskreismitglied Rajan Somasundaram das Wort. Er habe seine Arbeit mit der Überzeugung begonnen, dass eine Zusatzqualifikation ausreichend sei, um eine Verbesserung der Qualität in der Notfallmedizin zu erreichen. Dazu gehöre auch, dass Kolleginnen und Kollegen längerfristig in der Notfallmedizin arbeiteten. Ein Chirurg oder ein Anästhesist, der diese Zusatzbezeichnung erwirbt, werde aber höchstwahrscheinlich nicht längerfristig in der Notfallmedizin tätig sein. Daher sei er zu der Überzeugung gelangt, dass eine entsprechende Facharztausbildung sinnvoller sei als eine Zusatzqualifikation.

Danach erhielt Stefan Poloczek, ebenfalls AK-Mitglied, das Wort. Er stellte klar, dass der Facharzt für Notfallmedizin kein ?Überarzt? sein soll. Er solle lediglich der erste Kontakt für den Patienten sein, um fachgemäß und zeitnah festzustellen, in welches Fachgebiet der jeweilige Notfall gehöre. Gleichzeitig betonte Poloczek, dass sich die strukturellen Defizite auch durch die Einführung eines neuen Facharztes nicht ändern würden. Der Auftrag des Arbeitskreises sei aber vielmehr, herauszuarbeiten, was die Ärztekammer Berlin mit eigenen Mitteln tun könne, um zu einer Verbesserung der Versorgung beizutragen.

Die Diskussionen in den Ausschüssen und Fachgruppen über das Für und Wider eines Facharztes für Notfallmedizin dürften damit also noch lange nicht am Ende sein.

Neben diesen beiden diskussionswürdigen Tagesordnungspunkten stimmten die Delegierten noch über zwei Drucksachen ab. So galt es, einen Vertrauensmann und dessen Stellvertreter für den Wahlausschuss der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter beim Berufsgericht und Berufsobergericht am Verwaltungsgericht/Oberverwaltungsgericht zu benennen sowie die Vorschlagslisten der DV für die Benennung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zu verabschieden. Beide Drucksachen wurden einstimmig verabschiedet.

Die nächste Delegiertenversammlung findet am 20. November 2013 um 20 Uhr im Konferenzsaal der Ärztekammer Berlin statt.