Die Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin hat mit großer Mehrheit den Facharzt für Allgemeinmedizin als eigenständiges Gebiet mit neuen Inhalten wieder eingeführt. Nachdem bereits auf der vorherigen Delegiertenversammlung am 19. September der Internist ohne Schwerpunkt beschlossen worden war, verständigten sich die Delegierten nach einer längeren Diskussion jetzt mehrheitlich mit dem 6. Nachtrag zur Weiterbildungsordnung auf die Wiedereinführung des Facharztes für Allgemeinmedizin. Die vollständige Trennung des gemeinsamen Gebietes "Innere Medizin und Allgemeinmedizin" ist damit vollzogen. Die Berliner Kammer ist bundesweit die erste, die diesen Schritt geht. Daneben verabschiedeten die Delegierten den Wirtschaftsplan 2008 und bestätigten den sehr positiven Jahresabschluss 2006. Der solide Kurs der Finanzierung wird damit fortgesetzt. Außerdem soll die Kammer familienfreundlicher werden. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter sollen künftig die Kosten für Kinderbetreuung anlässlich von Gremiensitzungen erstattet bekommen. Einen entsprechenden Antrag stellte der Marburger Bund. Die Kammer-Geschäftsführung erarbeitet jetzt einen Verfahrensvorschlag.
von Sascha Rudat
Die "Zwangsehe" von Allgemeinmedizinern und Internisten ist in Berlin beendet. Mit dem 6. Nachtrag zur Weiterbildungsordnung ist die Scheidung vollzogen - vorausgesetzt die Senatsverwaltung stimmt dem Nachtrag zu: Die Allgemeinmediziner bekommen wieder ein eigenständiges Gebiet mit neuen Inhalten. Nachdem mit dem 5. Nachtrag der Facharzt für Innere Medizin ohne Schwerpunkt wieder eingeführt worden war (als Reaktion auf den Beschluss des diesjährigen Ärztetages in Münster), hatten die Hausärzte bereits auf der DV am 19. September ihrem Wunsch nach Eigenständigkeit Ausdruck verliehen. Eine einberufene Arbeitsgruppe schlug den jetzt verabschiedeten 6. Nachtrag vor, der anschließend vom Kammervorstand verabschiedet wurde.
Allgemeinmedizin breiter aufgestellt
Beendet wird damit auch die gemeinsame Basis-Weiterbildung, die bisher für den Facharzt für Allgemeinmedizin, den Facharzt für Innere Medizin ohne Schwerpunkt sowie die Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt galt. Zudem wird dem Wunsch der Allgemeinärzte Rechnung getragen, mehr ambulant ableistbare Abschnitte aufzunehmen. Durch die breite Differenzierung der Inhalte wird die Weiterbildung für Allgemeinmediziner künftig professioneller aufgestellt und passt sich den höheren Anforderungen in der Praxis an. Der Entscheidung war eine heftige Diskussion unter den Delegierten vorausgegangen. Nachdem Vorstandsmitglied Vittoria Braun (Hausärzte) eindringlich für die Vorlage geworben hatte, gab es von verschiedenen Seiten Kritik. Kinderarzt Wolfram Singendonk (Fraktion Gesundheit) beklagte, dass der Vorschlag nicht im zuständigen Weiterbildungsausschuss besprochen worden sei und fügte hinzu: "Sie definieren hier einen Alleinvertretungsanspruch für die hausärztliche Versorgung und wollen politisch etwas installieren, das alle anderen Ärzte von der hausärztlichen Versorgung ausschließt." Dem widersprach Braun: "Wir wollen niemanden ausschließen. Es geht darum, die Weiterbildung zu strukturieren." Unterstützung kam von Angelika Prehn (Hausärzte) "Es war doch schon immer so, dass die Allgemeinmedizin die breite Fläche ist. Wir wollen niemandem etwas wegnehmen. Die Definition des Allgemeinmediziners entspricht internationalem Standard", sagte sie. Ähnlich äußerte sich Hans-Peter Hoffert (Hausärzte): "Der Allgemeinmediziner ist kein Gebietsarzt. Allgemeinmedizin steht auch nicht in Konkurrenz zu anderen Gebieten." Kritik kam aber auch aus den eigenen Reihen. Wolfgang Kreischer (Hausärzte) monierte "handwerkliche Fehler" des Entwurfs, unterstützte aber den Wunsch nach Eigenständigkeit. Braun erwiderte, dass dies Kleinigkeiten seien, die sich beheben ließen. "Es geht doch jetzt um die Frage, ob wir nur eine Subgruppe der Internisten sind." Kammerpräsident Günther Jonitz (Marburger Bund) plädierte dafür, "innerärztliche Honorarverteilungskämpfe aus der Diskussion herauslassen. Die ganze Frage der Honorarverteilung macht der Gesetzgeber". Aufgabe der Kammer sei es, die Definition der Inhalte festzulegen. Und solange "Innere Medizin" und "Allgemeinmedizin" unterschiedliche Fächer seien, müsse sich das auch in der Weiterbildungsordnung widerspiegeln, betonte Jonitz. "Es war ein Fehler, die beiden Fächer Innere und Allgemeinmedizin zusammenzuführen. Einige Landesärztekammern haben diesen Beschluss des Ärztetages in Rostock nicht umgesetzt und damit ein einheitliches Vorgehen verhindert. Die Ärztekammer Berlin ist die erste, die die Weiterbildungsordnung wieder vom Kopf auf die Füße stellt und die Glaubwürdigkeit der Kammern wiederherstellt." Vorstandsmitglied Werner Wyrwich (Marburger Bund) fügte hinzu: "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo die ärztliche Versorgung in Deutschland gefährdet ist. Wir brauchen deshalb breit weitergebildete Kollegen. Wir sollten also nicht Partikularinteressen, sondern das Wohl der Patienten im Blick haben." Von Seiten der Fraktion Gesundheit wurde die Frage aufgeworfen, ob sich die Berliner Kammer mit diesem bisher in Deutschland einzigartigen Modell nicht "in eine Sackgasse" manövriere. "Es geht nicht, dass wir in Berlin eine einsame Lösung machen", warnte Volker Pickerodt und äußerte auch europarechtliche Bedenken. Jonitz unterstrich: "Wenn man in Berlin den Facharzt für Allgemeinmedizin macht, wird dieser in ganz Deutschland und Europa anerkannt." Man könne davon ausgehen, dass mit dieser Änderung die Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin verbessert werde. "Eine Arbeitsgruppe auf Landesebene verhandelt momentan über eine bessere Organisation der Weiterbildung. Ein Expertentreffen im Bundesgesundheitsministerium mit Beteiligung von Frau Professor Braun und Vertretern der Betroffenengruppe WABe findet am 20. November statt." Harald Mau (Liste Allianz) forderte die Delegierten auf, ihren Gestaltungsspielraum wahrzunehmen. Statt in eine Sackgasse zu fahren, könne man so eine Spitzenposition übernehmen. Ein verbaler Vorstoß gegen einige jüngere DV-Mitglieder, die für die Einführung des Gebietes Allgemeinmedizin stimmen wollten, führte zu heftigem Protest. Dennoch wurde der 6. Nachtrag zur Weiterbildungsordnung schließlich mit 26 zu 10 Gegenstimmen der Fraktion Gesundheit angenommen.
Positives Ergebnis 2006
Schatzmeister Rudolf Fitzner (Liste Allianz) stellte den Delegierten die gesunde Finanz- und Wirtschaftslage der Kammer vor. Er konnte die erfreuliche Mitteilung machen, dass die Ärztekammer im Jahr 2006 statt einer erwarteten Unterdeckung von rund 787.000 Euro ein positives Ergebnis in Höhe von rund 1,1 Millionen Euro verzeichnen konnte. "Dieses Überschussergebnis ist Resultat gemeinsamer Anstrengungen von Verwaltung, Kammermitgliedern und Ehrenamtlern anlässlich des Ende 2005 befürchteten Einbruchs des Beitragsaufkommens", erklärte Fitzner. Beitragsmehreinnahmen von rund 677.000 Euro, Gebührenmehreinnahmen für die Zertifizierung von Fortbildungsveranstaltungen in Höhe von circa 285.000 Euro, Gebühreneinnahmen für Ärztliche Weiterbildung von etwa 232.000 Euro sowie eine pauschale Reduktion von Aufwendungen der Verwaltung von circa 400.000 Euro hätten wesentlich dazu beigetragen. "Allen Beteiligten ist dafür ausdrücklich zu danken", betonte der Schatzmeister. Kurz- und mittelfristig ergäben sich allerdings besondere Finanzbelastungen aus dem Ressort Weiterbildung durch die Umsetzung der neuen WbO und die konsequente Erneuerung von Hard- und Software im IT-Bereich. Als Finanzrisiken nannte Fitzner die Einführung des elektronischen Arztausweises (geschätzte Kosten von 100 bis 140 Euro pro Arzt) sowie eine - derzeit wenig wahrscheinliche - Steuernachzahlung für die Verrechnung von Werbeeinnahmen durch den Verlag von BERLINER ÄRZTE in Höhe von rund 550.000 Euro. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO erklärte, dass es keinerlei Beanstandungen am Jahresabschluss 2006 gebe und der uneingeschränkte Prüfungsvermerk erteilt werden konnte. Dem folgten die Delegierten. Sie nahmen den Jahresabschluss zur Kenntnis und erteilten dem Vorstand ohne Gegenstimmen Entlastung.
Solide Finanzierung
Wie der Kaufmännische Leiter der Kammer, Frank Rosenkranz, weiter erläuterte, könne die geplante Unterdeckung des Wirtschaftsplanes 2007 von rund 346.000 Euro voraussichtlich deutlich unterschritten werden, ein positives Ergebnis sei wahrscheinlich. Grund seien höhere Beitragseinnahmen, Gebühren für die ärztliche Weiterbildung, höhere Zinseinnahmen sowie geringere Aufwendungen in verschiedenen Bereichen. Für das Jahr 2008 werden Erträge in Höhe von 9,669 Millionen Euro erwartet, die Aufwendungen werden sich voraussichtlich auf 9,867 Millionen Euro belaufen. Das ergibt eine geplante Unterdeckung von rund 198.000 Euro. Die um etwa 497.000 Euro höheren Einnahmen decken laut Rosenkranz die Sondereinflüsse wie die IT-Anpassung nicht. Vorgesehen ist im Wirtschaftsplan 2008 außerdem eine Sondertilgung für das Restdarlehen des Kammergebäudes in der Friedrichstraße in Höhe von 500.000 Euro. Nach Aussagen von Rosenkranz sei diese Tilgung kaufmännisch sinnvoll, da der Zinssicherungsvertrag 2009 auslaufe.
Wunsch nach genaueren Plänen
Dieser Punkt wurde in der anschließenden Aussprache unter den Delegierten kontrovers diskutiert. Nach Ansicht von Eva Müller-Dannecker (Fraktion Gesundheit) wird die gegenwärtige Ärztegeneration zu stark für die Finanzierung des Kammergebäudes herangezogen. Dem widersprach Kammerpräsident Jonitz und wies darauf hin, dass bei den künftigen Arztgenerationen nicht von großen Einkommenssprüngen auszugehen sei und die Zahl der Ärzte zurückgehe. Umfassend diskutiert wurde auch die Frage, weshalb Plan und Ist des Haushaltes in den vergangenen Jahren immer auseinander lagen und Einnahmen schließlich höher ausfielen als erwartet. Dies sei auch Thema der Haushaltskommission gewesen, berichtete deren stellvertretender Vorsitzender Peter Bobbert (Marburger Bund) in Vertretung für den Vorsitzenden Reinhold Grün. Auch wenn sich die Haushaltskommission einstimmig für den vorliegenden Wirtschaftsplan ausgesprochen habe, mögen Vorkehrungen getroffen werden, die eine exaktere Planung ermöglichten, sagte Bobbert. Volker Pickerodt wandte ein, dass die Beiträge der Ärzte nicht dazu da seien, um das Vermögen der Kammer zu erhöhen, sondern um die laufenden Kosten zu decken. Er wiederholte seine Forderung aus der Haushaltskommission mit den zu erwartenden Mehreinnahmen in diesem Jahr die Kammerbeiträge zu senken. Dies stieß auf Kritik von Detlef Ruland (Liste Allianz): "Ich finde es unsolide, jetzt Gelder zurückzuführen, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass Nachzahlungen auf uns zukommen." Schatzmeister Fitzner fügte hinzu: "Unsere Pflicht ist es, eine ausgewogene Bilanz vorzulegen." Dem folgten die Delegierten mehrheitlich und lehnten eine Beitragssenkung ab. Die Beitragstabelle 2007 wird damit unverändert übernommen. Der Wirtschaftsplan 2008 wurde schließlich mit 26 Ja-Stimmen bei 7 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen angenommen.
Kammer soll familienfreundlicher werden
Um die Teilnahme von Kinder erziehenden Mitgliedern in den Kammergremien zu erleichtern, sollen künftig die Kosten für Kinderbetreuung anlässlich von Gremiensitzungen erstattet werden. Diesen Antrag brachte der Marburger Bund ein. "Die Aktivitäten der Kammer für familienfreundliche Arbeitsbedingungen in Klinik und Praxis sollen durch aktive Maßnahmen zur Förderung der Tätigkeit in der ärztlichen Selbstverwaltung konkretisiert werden", heißt es in dem Antrag. Dieser Vorschlag, der für Ehrenamtler und Kammermitarbeiter gelten soll, stieß auf wenig Gegenliebe bei der Fraktion Gesundheit. Deren Sprecher Andreas Grüneisen kritisierte den Antrag als unkonkret. Jonitz erklärte, dass ein von der Geschäftsführung zu erarbeitender Verfahrensvorschlag ohnehin der DV nochmals zur Abstimmung vorgelegt werde. Die Delegierten nahmen den Antrag mit Gegenstimmen der Fraktion Gesundheit schließlich an.