Drohschreiben an Ärztinnen und Ärzte mit falschen Behauptungen zur Impfung gegen COVID-19
Eine Vielzahl von Ärztinnen und Ärzte erhalten dieser Tage E-Mails in Bezug auf die Durchführung von Impfungen mit mRNA-Impfstoffen gegen den Erreger SARS-CoV-2. Es wird darin unter anderem behauptet, dass die Anwendung der Impfstoffe strafbar sei. Nach dem Arzneimittelgesetz drohe Ärztinnen und Ärzten eine Freiheitstrafe von bis zu 10 Jahren. Angefügt ist das Gutachten einer Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht aus dem süddeutschen Raum.
In dem Gutachten, in E-Mails und in sozialen Medien wird unter anderem behauptet, der Impfstoff COMIRNATY von BioNTech/Pfizer sei lebensgefährlich. Er enthalte zwei Inhaltsstoffe, ALC-0315 und ALC-0159, die nicht für die Anwendung am Menschen geeignet, sondern nur für Forschungszwecke bestimmt seien. Dies gehe aus der Produktinformation des Herstellers der Stoffe hervor. Der Europaabgeordnete der AfD Guido Reil stellte unter dem 22. Dezember 2021 eine entsprechende Anfrage an das Europäische Parlament, in der unterstellt wird, es bestehe eine anhaltende Gefährdung der europäischen Bevölkerung durch die genannten nicht zugelassenen Bestandteile in dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer.
Tatsächlich enthält der Impfstoff COMIRNATY von BioNTech/Pfizer die genannten Inhaltsstoffe ALC-0315 und ALC-0159. Es handelt sich dabei um zwei neuartige Lipide, die bisher nicht in Arzneimitteln oder Impfstoffen verwendet worden sind. Die Lipide haben Eigenschaften, die speziell für den Transport von mRNA geeignet sind. Der Impfstoff COMIRNATY ist einschließlich seiner Zusatzstoffe von der Europäischen Arzneimittelagentur auf seine Sicherheit geprüft und für die Zulassung empfohlen worden. Die Europäischen Kommission hat dem Impfstoff unter dem 21. Dezember 2020 eine bedingte Zulassung erteilt, die jährlich überprüft wird und mit weiteren Prüfanforderungen an den Hersteller verbunden wurde. Die Zulassungsbedingungen und die Prüfberichte sind öffentlich und auf den Seiten der EMA im Internet abrufbar.
Die Firma Echelon Biosciences, deren Produktinformationen von Impfgegner:innen für den Beweis der Gefährlichkeit des Impfstoffes herangezogen werden, stellt mittlerweile auf ihrer Website klar, dass sie nicht der Hersteller der Zusatzstoffe ist, die in dem Impfstoff COMIRNATY von BioNTech/Pfizer oder in anderen Impfstoffen verwendet werden. Die Firma stellt nach ihren Angaben die genannten Produkte zwar selber auch her, dies aber nicht für Impfstoffe, sondern nur zu Forschungszwecken in Laboratorien. Der Gebrauch der Produkte für die Forschung unterliege weniger strengen Regularien als für die Verwendung in Arzneimitteln. Das ist der Grund, warum die Firma in ihren Produktinformationen den offenbar so missverstandenen Hinweis gibt, dass das Produkt nur für Forschungszwecke verwendbar und nicht für die Anwendung am Menschen geeignet ist.
Die Behauptung, in dem Impfstoff COMIRNATY von BioNTech/Pfizer seien nicht zugelassene Bestandteile enthalten, ist falsch. Die Verwendung der genannten Bestandteile ist vielmehr von der Zulassung des Impfstoffes umfasst. Die Behauptung, Ärztinnen und Ärzten würden sich bei bestimmungsgemäßer Anwendung des zugelassenen Impfstoffes (§ 5 AMG) strafbar machen, ist schwerlich ernst zu nehmen. Nach § 5 Arzneimittelgesetz ist das Inverkehrbringen und die Anwendung bedenklicher Arzneimittel verboten. Hierfür muss allerdings der begründete Verdacht bestehen, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko wird bei den aktuell in der EU zugelassenen Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft als positiv bewertet. Die bedingte Zulassung von COMIRNATY bewirkt eine kontinuierliche weitere Überwachung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses. Die Impfung wird zudem von der STIKO empfohlen. Es besteht daher für keine Ärztin und keinen Arzt das Risiko, wegen der bestimmungsgemäßen Anwendung der aktuell zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 in Konflikt mit § 5 AMG zu geraten und sich dadurch strafbar zu machen.
Stand: 21. Januar 2022