Betreuungsrecht – Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen

Gesetzesänderung

Die Regelungen der betreuungsrechtlichen Unterbringung (§ 1906 BGB) und der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer sog. ärztlichen Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht (§ 1906a BGB) wurden durch Gesetz vom 17.07.2017 geändert.

Problemaufriss und Vorgaben der Rechtsprechung

Kann der (volljährige) Patient krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden und damit nicht rechtswirksam in einen Krankenhausaufenthalt und/oder eine bestimmte ärztliche Behandlung einwilligen, so hat darüber der Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte im Interesse des Betroffenen zu entscheiden. Problematisch sind dabei die Fälle, in denen der Betreuer oder Vorsorgebevollmächtige einem Krankenhausaufenthalt oder einer bestimmten Behandlungsmaßnahme zustimmt, der Betroffene dies aber im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit, d. h. nur mit sog. natürlichem Willen, ablehnt.

Die Verbringung einer einwilligungsunfähigen Person in ein geschlossenes Krankenhaus/eine geschlossene Abteilung gegen deren natürlichen Willen (= betreuungsrechtliche Unterbringung) ist nur zur Abwendung einer konkreten Gesundheitsgefahr für den Betroffenen und nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig (§ 1906 BGB). Dies gilt erst Recht, soweit eine konkrete medizinisch indizierte Maßnahme zum Schutz des Betroffenen durchgeführt werden soll, dieser aber im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit widerspricht (= sog. ärztliche Zwangsmaßnahme). Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen (Beschlüsse vom 23.03.2011 - Az.: 2 BvR 882/09, 12.10.2011 - Az.: 2 BvR 633/11 und 20.02.2013 - Az.: 2 BvR 228/12) die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine solche Zwangsbehandlung konkretisiert. Der Bundesgesetzgeber hat darauf durch das „Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen“ vom 27.02.2013 (BGBl. I S. 266) reagiert und die von der Rechtsprechung vorgegebenen Anforderungen durch eine Änderung des § 1906 BGB umgesetzt.

Gesetzesänderung vom 17.07.2017

Nach der bis dahin geltenden Regelung war eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung möglich. Mit einem weiteren Beschluss vom 26.07.2016 (Az.: 1 BvL 8/15) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass dies eine nicht hinnehmbare Schutzlücke darstellte. Eine ärztliche Behandlung müsse zum Schutz des einwilligungsunfähigen betreuten Patienten auch dann ausnahmsweise gegen dessen natürlichen Willen möglich sein, wenn dieser stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt wird, aus der er sich nicht entfernen will oder sich faktisch nicht entfernen kann. Durch eine weitere Gesetzesänderung vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2426) wurde auch diese Vorgabe umgesetzt, indem für die betreuungsrechtliche Unterbringung einerseits (§ 1906 BGB) und für die betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung andererseits (§ 1906a BGB) eigenständige Rechtsgrundlagen geschaffen wurden. Die Gesetzesänderung stellt zudem ausdrücklich klar, dass die ärztliche Behandlung dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen unter Berücksichtigung einer ggf. vorliegenden Patientenverfügung entsprechen muss.

Betreuungsrechtliche Unterbringung, § 1906 BGB

Die freiheitsentziehende betreuungsrechtliche Unterbringung ist nach § 1906 BGB nur zulässig, wenn diese zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um eine Selbstgefährdung abzuwenden oder um eine ärztliche Untersuchung oder Heilbehandlung durchführen zu können, ohne die ein erheblicher Gesundheitsschaden für den Betreuten droht. Die Unterbringung bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, welches diese Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu überprüfen hat. Das gilt ebenso, wenn dem Betreuten während der Unterbringung oder im Rahmen eines freiwilligen Krankenhausaufenthalts „durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll“. Auch hier gelten die genannten (engen) Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie ein gesonderter betreuungsgerichtlicher Genehmigungsvorbehalt. Durch eine ergänzende Gesetzesänderung vom 17.07.2017 (BGBl. I. S. 2424) gilt dies nunmehr entsprechend auch im Kindschaftsrecht, d. h. bei einer von den Eltern veranlassten Unterbringung oder freiheitsentziehenden Behandlungsmaßnahme des Kindes (§ 1631b BGB).

Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen, § 1906a BGB

Der Betreuer kann in eine konkrete Untersuchungs- oder Behandlungsmaßnahme, welcher der einwilligungsunfähige Betreute widerspricht, nur dann rechtswirksam einwilligen, wenn die in § 1906a Abs. 1 Nr. 1 bis 7 BGB genannten Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind:

Die ärztliche Maßnahme muss zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen Gesundheitsschaden abzuwenden. Es muss die Situation vorliegen, dass der Betreute diese medizinische Notwendigkeit zwar aktuell krankheitsbedingt nicht erkennen kann, die Durchführung der Behandlung aber seinem mutmaßlichen und ggf. in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen entspricht. Vor Durchführung der Behandlung muss ernsthaft und mit dem notwendigen Zeitaufwand versucht worden sein, den Betreuten von der Notwendigkeit der Behandlungsmaßnahe zu überzeugen. Diese muss für den Betreuten das mildeste Mittel darstellen, um die drohende Gesundheitsgefahr abzuwenden und der Nutzen der Behandlung muss die Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Zudem darf eine solche Zwangsmaßnahme nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus erfolgen, in dem die fachlich gebotene Versorgung des Betreuten sichergestellt ist. Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass ambulante Zwangsbehandlungen damit auch nach der Neufassung ausgeschlossen bleiben.

Die Einwilligung des Betreuers bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Die Behandlung kann also nur durchgeführt werden, wenn das Gericht das Vorliegen der genannten
Voraussetzungen bestätigt hat. Diese Regelungen gelten entsprechend für die Einwilligung eines Vorsorgebevollmächtigten in eine Unterbringung sowie in eine ärztliche Zwangsmaßnahme betreffend den vertretenen (vollmachtgebenden) Patienten. Hier gilt zudem, dass die schriftlich erteilte Vollmacht die Einwilligung in eine Unterbringung und in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ausdrücklich umfassen muss.

Verfahrensrechtliche Anforderungen

Die Regelungen werden flankiert durch verfahrensrechtliche Anforderungen zum Schutz des Betroffenen. Insbesondere ist festgehalten, dass der Arzt, der die Notwendigkeit der Behandlungsmaßnahme begutachtet, nicht zugleich der behandelnde Arzt sein soll. Der begutachtende Arzt muss zudem auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahren sein. Die gerichtliche Genehmigung muss die Art und Dauer der Maßnahme bestimmen und anordnen, dass diese unter ärztlicher Verantwortung durchzuführen und zu dokumentieren ist. Die Behandlungsmaßnahme darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten, sie kann gerichtlich verlängert werden. In Eilfällen kann das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung über vorläufige Maßnahmen entscheiden.

Entsprechende Regelung durch das Berliner "PsychKG"

Von der zivilrechtlichen Regelung in §§ 1906, 1906a BGB zu unterscheiden ist die ärztliche (Zwangs-)Behandlung von psychisch erkrankten Personen, die aufgrund einer Eigen- oder Fremdgefährdung bzw. aufgrund einer strafgerichtlichen Anordnung nach den Landesgesetzen für psychisch Kranke untergebracht sind. Auch hiernach ist eine dem natürlichen Willen des Betroffenen widersprechende ärztliche Behandlung nur aufgrund gesetzlicher Vorschriften möglich, welche den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.

Mit der Neuregelung des „Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG) die am 29.06.2016 in Kraft getreten ist (GVBl. S. 336) und das bisherige „Gesetz für psychisch Kranke“ (PsychKG alte Fassung) abgelöst hat, hat der Landesgesetzgeber die Vorgaben der Rechtsprechung an eine ärztliche Zwangsbehandlung untergebrachter Personen nunmehr auch für diesen Bereich umgesetzt. Näheres dazu sowie zu weiteren Aspekten dieser gesetzlichen Neuregelung finden Sie hier.

Bei Fragen oder Beratungsbedarf zu der dargestellten Thematik können sich Ärzte an die Abteilung Berufsrecht der Ärztekammer Berlin wenden. Ansprechpersonen und Beratungszeiten erfahren Sie hier.


K. Schmitt, LL.M. (Wellington)
Assessor jur., Abteilung Berufsrecht

In diesem Text wird an mehreren Stellen auf die separate Verwendung der weiblichen und männlichen Form verzichtet. Die Gender-Grundsätze und die Grundsätze der Antidiskriminierung werden von der Ärztekammer Berlin beachtet.